Zwischen Tradition und Selbstverwirklichung: Die Ehe als modernes Beziehungskonzept
Die Ehe als Beziehungskonzept und Lebensentwurf hat in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr an Glanz verloren. Was in unserer Elterngeneration beinahe noch ein ganz selbstverständlicher und wenig hinterfragter Schritt auf dem Weg durch das Leben war, ist längst nicht mehr das meistgewählte Beziehungsmodell. Eine Partnerschaft scheint einfach nicht mehr für die Ewigkeit gemacht zu sein. Die Scheidungsrate liegt in Deutschland aktuell bei 54 Prozent. Das bedeutet, dass jedes zweite Paar, das einst den Bund fürs Leben geschlossen hat, seine Entscheidung früher oder später bereut und wieder getrennte Wege gehen möchte. Bei den Stars in Hollywood scheint die Ehe ohnehin eher eine Modeerscheinung zu sein und längst nicht mehr mit der Bedeutung behaftet, die ihr in früheren Generationen noch beigemessen wurde. Vor diesem Hintergrund mag es kaum verwundern, dass viele junge Menschen das Vertrauen in die Ehe als Beziehungskonzept verloren haben und der Satz „Bis dass der Tod euch scheidet“ eher zu einer hohlen Phrase verkommen ist. Wozu noch heiraten, wenn der größere Teil der Ehen letztendlich doch vor dem Scheidungsrichter endet? Die Versorgung der Ehefrau, die in früheren Generationen ein wesentlicher Bestandteil einer Ehe war, ist aufgrund des heutigen Bildungssystems und der beruflichen Möglichkeiten für Frauen glücklicherweise obsolet geworden. Menschen beiderlei Geschlechts sind heute durchaus in der Lage, selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen und müssen nicht mehr von einem Partner versorgt werden. Liebe ist für viele junge Menschen zwar der schönste aber längst kein ausreichender Grund, um eine Ehe einzugehen. Eine glückliche Beziehung benötigt in der heutigen Zeit schließlich keinen Trauschein mehr, und auch eine Familie kann durchaus glücklich zusammenleben, ohne dass Vater und Mutter miteinander verheiratet sind. Der Gesetzgeber hat schließlich eine ganze Reihe von Gesetzesgrundlagen geschaffen, die unverheiratete Paare mit Kindern ebenso formell absichern wie Ehepartner. Das ZDF-Magazin WISO hat dieser Thematik einen ausführlichen Beitrag gewidmet, der in der Mediathek kostenlos zur Verfügung steht.
Nein, notwendig ist die Ehe in der heutigen Zeit wirklich nicht mehr. Ganz aus der Mode gekommen scheint sie aber trotzdem nicht zu sein, denn der Bund fürs Leben hat in den letzten Jahren einen erfreulichen Aufschwung erfahren. Immer mehr junge Paare entscheiden sich tatsächlich wieder für die Ehe, auch wenn das Beziehungskonzept in vielerlei Hinsicht eine Verjüngungskur durchlaufen hat.
Wer nicht muss, darf wollen
Ein grundlegender Unterschied zwischen der Ehe damals und heute ist der Grund, aus dem Paare sich noch immer oder wieder für den Bund fürs Leben entscheiden. Vor 50 Jahren mussten Frauen heiraten, um langfristig versorgt zu sein. Eine Ehe mit Kindern war der einzige Lebensentwurf, der sich ohne größere Schwierigkeiten umsetzen ließ, da die Möglichkeiten der beruflichen Selbstverwirklichung mit einer soliden wirtschaftlichen Basis den Frauen zu dieser Zeit vielfach noch verwehrt blieben. Bis heute hat sich in dieser Hinsicht viel getan. Frauen stehen vielfältige Bildungswege offen und sie können sich somit sowohl beruflich als auch privat viel freier entfalten. Der Versorgungsaspekt einer Ehe fällt aus und damit aus das „Müssen“. An seine Stelle tritt in der heutigen Zeit ein „Wollen“, manchmal auch ein „Dürfen“, und damit hat sich vielleicht der bedeutendste Wandel der Ehe überhaupt vollzogen.
Besonders eindrucksvoll zeigt sich dieser Wandel bei der gleichgeschlechtlichen Ehe. Seit dem 1. Oktober 2017 dürfen sich in Deutschland auch gleichgeschlechtliche Paare ganz offiziell das Jawort geben. Damit ist ein wichtiger und längst überfälliger Schritt in eine Zukunft gelungen, in der die Ehe als Beziehungskonzept eine neue Bedeutung erfahren kann. Viele Jahre oder sogar Jahrzehnte blieb gleichgeschlechtlichen Paaren nur das „Wollen“, nun ist daraus ein „Dürfen“ geworden. Was längst nicht mehr zur Debatte steht, ist das „Müssen“. Paare jeden Alters und jeden Geschlechts müssen in Deutschland heute nicht mehr heiraten, sie dürfen heiraten wollen. Damit ändern sich nicht nur die Beweggründe für die Ehe, sondern auch der Blickwinkel auf dieses Lebensmodell. Vor allem junge Paare haben heute ihr ganz eigenes Verständnis von der Ehe entwickelt und leben das traditionelle Familienmodell vielfach auf eine ganz neue Art und Weise, die der individuellen Selbstverwirklichung und dem Prinzip moderner Patchworkfamilien längst nicht mehr entgegenstehen muss.